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Abstract:
Mike Meiré, seit 2008 Art Director der ARCH+, im Gespräch über sein Verhältnis zur Moderne, die Zukunft von Print und sein Credo "Ästhetik für Substanz".
Das Gespräch fand am 16. September 2020 in Köln statt im Rahmen des Forschungsprojekts "Innovationsgeschichte im Spiegel der Zeitschrift ARCH+" und erschien erstmals auf dieser Website im Juli 2021.
Redaktion:
Leo Herrmann, Sandra Oehy
© IGmA/BBSR
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#Grafikdesign
Mike, sprechen wir über ARCH+, sprechen wir über Architektur und Design. Ich würde gerne mit einer scheinbar harmlosen Frage beginnen: Wie kam es zum Kontakt mit der ARCH+?
Also das ist jetzt natürlich schon einige Jahre her. Das war 2007 oder 2008. Und zu dem Zeitpunkt haben wir für das Unternehmen Dornbracht hier immer parallel zur Internationalen Möbelmesse in Köln hier bei uns in der Factory Kulturprojekte initiiert. Und zu dem Zeitpunkt hatten wir auch ein ganz tolles Projekt von Interpalazzo mit einer sehr großen konstruktivistischen Maschine. Und weil das langsam dann in dem Off-Programm immer sich so herausstellte, auch nach dem Farbenprojekt, dass man hier in der Factory bei Meiré und Meiré immer wieder auch was Tolles sehen kann, war das glaube ich ganz klar, dass mit der Zeit auch immer mehr Journalisten vorbeikamen und in dem Zuge halt auch ARCH+. Und Anh-Linh und Nikolaus waren dann halt auch da, weil wir auch zusammen vorab schon mal geplant hatten, für Siedler einen spannenden Talk mit Kram/Weisshaar anzugehen. Wie dem auch sei, der Ort war halt hier die Factory und sie kamen, um sich diese Kulturprojekte anzuschauen. Und in dem Zuge haben sie mir halt das Konzept vorgestellt, dass man bei der ARCH+ kein Redesign plant, sondern dass man bei der ARCH+ eine Ausgabe angeht, das war hier die vor uns liegt, die 186/187, eben gerade "Die radikale Architektur der kleinen Zeitschriften". Und das macht ja dann vielleicht auch Sinn, weil ich natürlich das ein oder andere Magazin verantworte als Art Director mit meinen Teams. Und in dem Zuge sollte ich eigentlich den Einleger machen, also diese Historie mal anlegen. Und dann haben wir diesen Zeitstrahl entwickelt und da kam ja auch schon dann zum ersten Mal, der berühmte Balken tauchte auf. Und irgendwie war das aber so, dass wir uns sehr, sehr gut verstanden haben auf Anhieb, sowohl Nikolaus auch als mit Anh-Linh. Und ja, dann haben wir halt dieses erstes Supplement oder diesen Layer gestaltet, angelegt. Und dann fragte er mich halt auch, ob ich mir nicht vorstellen könnte, die gesamte Ausgabe zu machen. Okay, dann haben wir halt uns diese Ausgabe angeschaut und in dem Zuge, weil das hatte sich dann ein bisschen gestreckt, meinte er, kannst du nicht eigentlich komplett eigentlich mal die ARCH+ re-designen oder neu denken. So, und das war halt also quasi wirklich so vom Kleinen ins immer Größere. Und das wurde natürlich – am Anfang war es natürlich mein Kosmos mit Magazinen, in dem ich mich auch ganz gut auskenne. Und dann ging es in den Kontext ARCH+. Man weiß, ARCH+ ist jetzt eben nicht nur Architektur, sondern es geht wirklich auch um globale Perspektiven, Urbanismus. Und dann natürlich für mich als Gestalter auch nochmal interessant, weil ich bin ja nicht nur Art Director, sondern ich bin ja auch Unternehmer beziehungsweise auch Berater – ich berate internationale und auch nationale Marken sehr strategisch in ihrer Identity –, und das fiel natürlich, und es war mir auch klar: Otl Aicher. Und das ist natürlich dann so eine Geschichte als junger Gestalter. Okay, du gehst da jetzt quasi in die Fußstapfen von so einer Legende – was machst du damit? Und deswegen fand ich ARCH+ für mich deshalb interessant, weil ich die Chance hatte zu gestalten als Art Director, aber gleichzeitig auch zu überlegen, was wäre, wenn ARCH+ sich als Marke versteht.
Ich schlage vor, wir kommen gleich zu den Details eures Redesigns, dem bereits erwähnten Balken und vielen anderen Themen. Aber vielleicht gehen wir nochmal kurz zur Geschichte der ARCH+ auch in Hinsicht ihres Designs zurück. Du hast bereits Otl Aicher, der das Erscheinungsbild der ARCH+ jahrelang geprägt hat, erwähnt. Wir haben hier einige Ausgaben mitgebracht, die legendäre erste Ausgabe, die noch ganz ohne Bilder auskam aus dem Jahr 1968, dann die Ausgabe 28 aus dem Jahre 1975, die erste ARCH+-Ausgabe mit einem Bild als Cover, mit einer Zeichnung des Künstlers Dieter Masuhr und dann eben diese Ausgabe 98, die zu zum ersten Mal einem Grafikdesigner auch gewidmet war: Otl Aicher. Zu diesem Zeitpunkt war das ARCH+-Logo noch nicht von Otl Aicher designt. Auch die Zeitschrift selbst war noch nicht designt. Die legendäre Schrift Rotis von Otl Aicher taucht hier nur bei den Überschriften auf, ansonsten ist das quasi ein traditionelles Erscheinungsbild. Wie wolltet Ihr mit Otl Aicher umgehen? Ich nehme an, killen aus Verehrung?
Ja, so kann man das schön sagen, genau: We love you, that's why we shoot you. Nein, also ich denke schon, das war halt – ich bin mit Otl Aicher immer wieder konfrontiert worden, also auf Markenebene und ich hatte viele interessante Gespräche auch dazu, also auch damals hier mit Erco mit Gerd Bulthaup, mit denen ich auch zusammengearbeitet habe. Also das Vermächtnis von Otl Aicher ist mir schon sehr bewusst und da geht man auch natürlich behutsam ran. Auf der anderen Seite bringt hier zu viel Demut auch nichts. Weil wir leben von der Zukunft, nicht von der Vergangenheit. Standing on of the shoulders of giants, das ist die eine Seite, aber du musst, glaube ich, auch in deiner Generation auch deinen eigenen Punkt machen. Und das das impliziert natürlich, dass du dich in irgendeiner Form gegen deine Helden stellen musst. Ja, du brauchst sie, um eine eigene Meisterschaft zu erzielen, aber irgendwann, wenn du das für dich erkannt hast, dass du gelernt hast, dass du es verstanden hast, zumindest das, was für dich relevant erscheint, dass du es verinnerst, dann musst du das aber irgendwann auch mal loslassen – weil sonst bist du ein Götze, das bringt ja auch nichts. So, und in dem Zuge habe ich mir das angeschaut und ich habe ja selber damals '83 mein eigenes Magazin, Apart, gegründet. Da habe ich damals mit der Futura gearbeitet. Das fand ich als Jugendlicher total verlockend, weil das heißt ja eigentlich auch so Future oder Zukunft und wenn das draufsteht, muss das auch drin sein und so, als gläubiges Kind. Und deswegen fand ich dann, als ich die erste Ausgabe gesehen habe – das war dann in Berlin, Anh-Linh hat mir die gezeigt und Nikolaus – und ich fand das großartig einfach! Weil ich war auch zu dem Zeitpunkt auch manchmal müde, weil du – Gestaltung ist etwas, inzwischen sowas Großes, alle können ja irgendwie gestalten. Es ist ja interessant: Also du würdest nie einem Arzt oder einem Chirurgen in sein Business reinreden. Bei einem Gestalter macht man das permanent. So, und trotzdem glaube ich, gibt es da etwas, wo du spürst, dass das eine gewisse Schwingung hat. Und mich hatte das immer damals sehr, sehr interessiert, dass er eigentlich mit so einer manifesthaften Idee in die Welt gegangen ist. Und deswegen – ich mochte das auch, "Entwurf der Moderne", das steht ja auch alles irgendwie in einer Linie mit Ulmer Schule, mit Bauhaus und so. Und das fand ich schon faszinierend und gleichzeitig, weil ich selber total angefixt war zu dem Zeitpunkt, oder auch nach wie vor immer wieder, von Bauhaus, ist das verführerisch. Und gleichzeitig habe ich auch immer für mich gedacht, Wahnsinn, irgendwie ist das auch so ein Dogma und die Welt ist ja schon – mit jeder Generation verändert sich da was. Und wir reden ja von einem Zeitpunkt, da gab's ja noch gar kein iPhone. Ich meine, das ist ja nochmal ein paar Jahre später. Und wenn du das nur alleine in dieser extrem analog geprägten Kultur dir vorstellst, dass da Menschen eben antreten – das fand ich faszinierend. Und gleichzeitig wollte ich das aber auch für meine eigene Generation einfordern, deswegen musste er weg. Und das siehst du dann zum Beispiel bei dem Cover – was ich großartig finde –, aber du siehst ja, es ist ja nicht nur eine Hommage an ihn, es ist ja auch eine versteckte Hommage an Andy Warhol. Also diese ganzen Pop-Codes – und dann reden wir über Codes. Und zu dem Zeitpunkt gab es eben die ARCH+ mit dem Spiel mit den unterschiedlichen Schrifftschnitten in der Rotis, die zu dem Zeitpunkt aber ich sag mal vom Lufthansa-Magazin angefangen bis Erco-Magazin in so einer Businesswelt verortet waren, wo ich zu dem Zeitpunkt schon oft das Gefühl hatte, dass es so eine Art Renaissance gibt von vielen gut gestalteten Magazinen, die aber alle nur mit diesen gesamten – eigentlich wollen die immer nur ihre Botschaften im Sinne von Produkten, Services et cetera etablieren. Nichts Verkehrtes, aber für so eine Redaktion um Nikolaus Kuhnert, um Anh-Linh herum hatte ich das Gefühl gehabt, das passt nicht mehr, das ist der falsche Anzug, den die tragen. Warum nicht deswegen sagen, alles schön und es war okay, Otl, das war eine tolle Phase, danke, und jetzt gehen wir wieder zurück zu dem manifesthaften – um nochmal deutlich zu machen, wir müssen uns eigentlich entkommerzialisieren, abkoppeln, um ernst genommen zu werden. Und deswegen gab es ja dann auch immer wieder diese Überlegung, was bedeutet eigentlich Überzeugungstäter, was bedeutet da. Du bist ja immer Täter und Opfer gleichermaßen. Und hier hatte ich das Gefühl gehabt, man hat mit einem Heroen angefangen, hat dadurch eigentlich eine kulturelle Weihe erfahren und ist gleichermaßen aber auch Opfer geworden. Weil es wurde eben aufgegriffen oder okkupiert von den gesamten Brandingkonzepten, -strategien. Und auf einmal, wenn eine Marke drauf steht – wir reden heute nicht über Nike oder sowas – das waren damals halt große mittelständische Marken, die das gemacht haben. Aber auf einmal war eine Zeitung, die sich "Zeitschrift für Architektur und Urbanismus" auf die Fahne schreibt, im gleichen Duktus gestaltet wie ein Küchenprospekt von Bulthaup. Und für einen Leser ist das dann schwer zu sagen, wo ist noch, sag ich mal, ein kulturelles Echo und wo ist das Marketing.
Auf das ARCH+-Bekenntnis zu Otl Aicher, zur Rotis und vielen anderen Dingen folgte dann eine Zeit lang eine Suchbewegung, die zu Ausgaben wie dieser Nummer 171 führte, ich glaube, das Grafikdesign stammt hier nach wie vor von Walter Schönauer, aber diese Ausgabe wurde speziell von einem jungen Grafikdesignbüro namens ITF gestaltet. Du hast jetzt gerade für mich sehr nachvollziehbar euer Verhältnis zu Otl Aicher geschildert, aber ihr wolltet ja nicht nur mit eurer Antwort aus dem aus dem Jahre 2008 nicht nur gegen etwas argumentieren, sondern es war ja auch ganz eindeutig ein Bekenntnis für etwas: …
Also was sind die Elemente hier: Also dieser Balken, warum ist das so stark gewesen?
Ich glaube Moderne ist ja einfach erstmal per se eine Verweigerung. So, und deswegen war das da halt die Verweigerung von, ich möchte dir gefallen, die Verweigerung von einer logischen, schönen, klassischen Komposition, die Verweigerung von einer lieblichen Farbigkeit, die Verweigerung von einfach wirklich diesen gesamten – also hier, das ist, das geht mir nicht um die Kritik, weil jeder hat einen unterschiedlichen Geschmack und es sei ihm auch zugestanden, das ist okay. Es sind mir nur zu viele Botschaften – diese Ebenen, die sich da, sag ich mal, so verweben, lenken eigentlich ab. Das ist nur noch Augenpulver – und was ich eigentlich wollte, war zurück zum Manifest gehen, zu sagen, okay, deliver what matters. Und was ist entscheidend? Dann kannst du natürlich sagen, wir sind ARCH+. Ich habe das irgendwann gar nicht mehr gelesen durch die Striche. Weißt du, ich fand das auch einfach – da steht ARCH+, das war ja das Entscheidende, das war ja ausgeschrieben. Und ich fand die Entwürfe von Otl mit dem Plus viel radikaler, weil das ist natürlich auch verortbar irgendwie in der Architekturwelt – wie ein Fadenkreuz von mir aus halt auch. Es war irgendwie eine andere Geschichte, die hatte, so diese Moderne und ich wollte zurück zu der Moderne und quasi weg vielleicht von dem, das sieht modern aus. Und ich glaube, das ist der Unterschied. Wenn das eine im Zuge dessen, sage ich mal, eher was Kosmetisches hat, dann wollte ich eigentlich weg von diesem Kosmetischen hin zu einem Kern, der eigentlich wieder was mit dem Ursprung von ARCH+ zu tun hat. Und eigentlich war es ja – eigentlich wollte ich wieder zurück zu dem, wo Otl Aicher angefangen hat, wo er vielleicht noch nicht Opfer seiner eigenen Ideologie war. Das ist jetzt zu weit gesprungen mit dem Opfer, nein, das war alles okay. Aber ich fand, diese früheren Entwürfe hatten einen anderen Duktus. Und wir sprechen auch über eine Zeit wie Finanzkrise halt auch. Und es war wahrscheinlich – es gab unterschiedliche Aspekte, wo man sagen kann, dass die Zeit auch geprägt war von gewissen disruptiven Momenten in der Kultur, wo ich auch das Gefühl hatte oder das Bedürfnis hatte, etwas zu gestalten, das eine – wenn das überhaupt geht – eine Dringlichkeit vermittelt.
Ja, das ist interessant, dass wir jetzt quasi von diesen grafischen Details wie Balken et cetera direkt zu dem großen ökonomischen Kontext kommen. Diese Ausgabe erschien bekanntlich 2008, ein Jahr nach der Documenta 12 im Jahre 2007. Diese Ausgabe erschien dann eben auch in diesem Kontext der Documenta 12. Und genau in diesem Moment einer globalen Wirtschaftskrise scheint eure Antwort zu sein, bitte korrigiere mich, "radical chic" und "back to the roots" – warum?
In einer gewissen Form ja, weil ich glaube, diese ganzen Krisen entstehen ja auch einfach, weil die Leute einfach ihren Pfad verlieren. Du verlierst irgendwann das – das ist immer so: Du fängst irgendwo an, du hast eine Idee und das hat ja auch etwas mit Triebtäter zu tun. Du hast einen Trieb, du bist besessen von einer Idee – für einen Moment. Vielleicht ist das eben auch viel stärker noch in der Jugendlichkeit verortet, dass du noch nicht so viel weißt. Du spürst etwas, du willst aufbrechen, du hast eine Idee von Horizont, du weißt noch nicht genau, wo das hingeht. Und dann passiert aber auch oft etwas, das auf diesem Weg dorthin viele Weggefährten dazukommen. Es gibt unterschiedliche Interessenslagen und irgendwann verschieben sich gewisse Dinge. Man fängt an, unmerklich Kompromisse einzugehen. Die Dinge werden unklar, fuzzy. Und ich glaube, das ist dann auch in dem Moment, wenn du nicht mehr bei dir selbst bist, weil zu viel auf dich einwirkt und du das nicht mehr richtig filtern und kanalisieren kannst für dich. In dem Moment kommen halt einfach auch Kompromissgeschichten raus. Und ich hatte immer das Gefühl, es gibt zu viele Magazine, es gibt zu viel, was gedruckt wird und alle meinen natürlich, irgendwie ist es relevant. Aber ich glaube, wenn du tatsächlich historisch betrachtet an so einer Wurzel ansetzen kannst, wie eben mit ARCH+ und Otl Aicher, dann hast du eine andere Aufgabe. Dann musst du eigentlich diesen Kern immer eher transformieren, dass die neue Generation, die das referenziell vielleicht gar nicht durch holen kann. Aber sie weiß, das kommt einem Impuls, der nicht in diesem Kompromiss endet, der halt einfach tatsächlich diesen Druck hat von, Modern ist eine Bewegung und das musst du durchsetzen. Das musst du nicht am Wochenende machen, das musst du jeden Tag durchziehen. Und das ist für mich so eine Geisteshaltung halt auch oder auch ein kulturelles Commitment. Und ich hatte das Gefühl, dass das nachher alles wischiwaschi ist, dass es eigentlich noch den Anspruch hat – weil die Texte das sicherlich haben. Gleichzeitig sieht es aber aus wie so ein Marketingding. Und deswegen war für mich ganz klar, ich möchte das alles mal so vom Tisch runter, mal wegwerfen und mal gucken, warum machen wir nicht diese alten Collagen, warum nehmen wir die nicht auf, warum – auch dann zum Beispiel der Balken war ja dann die Idee, wenn du das Plus wieder reinbringst, Arch+, und du hast oben diese Balken, das hat etwas zu tun auch mit der, sag ich mal, wie so eine Art Rubrizierung. Oder auch wenn du dir die Bauhauspläne anguckst und so: Dieser Balken hat so etwas wie ein Fundament. Und den fand ich interessant, den haben wir oben eingesetzt.
Der taucht auch auf jeder Seite wieder auf.
Ja, und dann habe ich gemerkt, dass mir das gefällt. Ich wollte in der Gestaltung selber eben nicht diesen berühmten Aufbau haben, Rubrik, Headline, Einleser und dann so, sondern dass man mal überlegt, wie kann sowas aussehen, können wir Weißraum minimieren und können wir einen DuKtus schaffen, der sich bis an die Seiten quetscht, soweit es halt drucktechnisch vertretbar ist. Und das waren so diese – es gibt so nichts zu verlieren mehr, weißt du, und eher da anzufangen. Weil das war mir nachher zu viel Beautysalon. Und deswegen zurückgehen eigentlich in eine Welt, die eher noch nicht so feinpoliert ist und das Grobe hat.
Bleiben wir nochmal bei dem ökonomischen Aspekt dieses Grafikdesigns. Interessant ist ja vielleicht aus heutiger Sicht, dass ihr genau in dem Moment einer Weltwirtschaftskrise die Anspielungen aus einer Zeitschriftsgeschichte wählt, als die Zeitschrift noch nicht professionell agierte, sondern im Grunde auf dem Prinzip Selbstausbeutung basierte. Ich glaube, das erste Gehalt wurde irgendwann mal in den 80er Jahren in der ARCH+ ausbezahlt.
Überzeugungstäter!
Ja, genau! Also im Grunde wird ja hier das Grafikdesign einer Zeit reaktiviert, in der linke Ausbeutungskritik auf der Basis von Selbstausbeutung betrieben wurde. Ist das auch bewusst gewesen?
Also sagen wir so: Ich glaube es ist so, ich nenne ja das für mich immer "Call for the Alternative", also ein bisschen wie Joseph Beuys, Aufruf zur Alternative, dass wenn du das Gefühl hast, dass viele Dinge sich zu stark kommerzialisieren im Hinblick auf Sichanbieten, fast Anbiedern, also Verkaufen, geht irgendwie die Idee verloren oder leidet natürlich die Authentizität der Idee. Und ich glaube, guck mal, als Gestalter – ich kann bedingt auf den Inhalt, ich bin Teil einer Redaktion und kann sicherlich da auch mitreden – aber als Gestalter hast du eine andere Ausdrucksform. Du kannst das halt eben mit den Mitteln von Grafik, von Farbe, von Typografie, und mit der Komposition von Bildelementen zum Ausdruck bringen. Und mir ging es halt darum, etwas zu machen, was eigentlich eher so eine Art Hinweis darauf ist, wie haben wir eigentlich angefangen, können wir bitte noch einmal kurz dahin gucken und dann vielleicht eine Kurskorrektur vornehmen. Und das war halt als Gestalter diese Idee, genau an diesen fast improvisierten Looks wieder anzudocken. Und genau dieses Gefühl zu sagen, hört mal, wir stehen nicht irgendwie bei einem Corporate Publisher irgendwo auf einer Gehaltsliste. Wir sitzen irgendwo in Berlin oder Aachen oder Köln, wir sitzen in irgendeiner Factory oder einer Garage. Wir wollen nicht euer Mitleid, um Gottes Willen, aber wir haben eine ganz andere Haltung zu den Dingen. Und irgendwo musst du auch diese Position einnehmen. Und daran, sag ich mal, meinen Anteil oder meinen Beitrag da leisten zu können, die Chance, die habe ich gesehen bei ARCH+. Es gibt andere Magazine, da hab ich andere Facetten, die ich reinbringen kann. Aber hier fand ich das eigentlich hoch faszinierend, weil mich das eben auch eben, sag ich mal, auch als Künstler interessiert. Also ich weiß um gewisse Methoden oder Strategien, wie man Gefälligkeiten und Bedürfnisse weckt und markentechnisch dann strategisch strukturiert. Aber hier geht es darum, da ist eine eine Truppe von Menschen, die kommen immer wieder zusammen und schaffen es tatsächlich in ihrem Sendebedürfnis alle drei Monate ein Druckwerk in die Welt zu tragen. Das ist schon das Commitment.
Bleiben wir nochmal bei dieser Ausgabe: In dieser Ausgabe aus dem Jahre 2008 findet sich ein Interview mit dir - ein hochinteressantes Interview, wie ich finde, ich schlage das mal eben auf, mit dem Titel "Von triebgesteuerten Überzeugungstätern, Nerds und Pornografie". Der Begriff Überzeugungstäter fiel bereits in unserem Gespräch. Mich interessiert der Aspekt des Triebgesteuerten. Das ist ja, glaube ich, eine ganz zentrale zentrale Vokabel, wenn es darum geht, eine Bleiwüste einer sehr intellektuellen Architekturzeitschrift zu gestalten. Du hast jetzt bereits schon erwähnt, dass du den Weißraum doch möglichst stark reduzieren will, um die Bleibewüste noch Bleiwüstenhafter erscheinen zu lassen. Aber trotzdem scheint dir der Trieb dieser Autorinnen und Autoren doch bedeutsam zu sein. Also wie sollten diese Triebe hier irgendwie sich manifestieren?
Ja, also das, was mich persönlich immer wieder auch interessiert, ist tatsächlich – es geht ja immer um, sag ich mal, Kontrolle und Kontrollverlust. So, und das sind so Aggregatszustände, die ich faszinierend finde, auch im formalen Prozess. Und wenn du zum Beispiel – das ist ja auch alles im Zuge, wie gesagt, iPhone gab's noch nicht, aber es gab natürlich Internet und du hast gemerkt, Internet hat auch dann langsam seinen Tribut eingefordert. Es wurden Seiten vollgeschrieben, Blogs, Feeds und so. Man hat gespürt, es geht hier um eine Form der Qualität und beim Internet hast du halt kein Ende. Das geht immer weiter, während Papierseiten endlich sind. Also hier ist Raum kostbar, während im Internet läuft das immer weiter. Gleichzeitig ist das Internet etwas gewesen, wo man gespürt hat, du liest etwas und dann kommt ein Hyperlink, du klickst drauf und bist auf der nächsten Ebene. Das heißt, es hat was mit Neugierde zu tun, mit einem gewissen Flow – wenn du so willst mit Trieb, eine Triebhaftigkeit. Wenn du auf Pornografieseiten gehst, das fand ich immer hochinteressant von der wirtschaftlichen Seite auch her: das Tolle ist daran, dass viele Systeme irgendwie durch die Pornografie, weil die Menschen eben dann dort auch abhängen, ja, dass dort über gewisse Algorithmen viel mehr über das Triebhafte, über Dinge gelernt wird, analysiert wird, was man nachher für andere Zweige im Business auch genutzt hat. Also es ist genau so diese Geschichte halt, dass das Internet eigentlich ja im Militär eigentlich erstmal entwickelt wurde und heute dient es anderen Zwecken. Und man merkt, dass in der Pornoindustrie ja zum Beispiel auch die ersten ganzen KI- oder VR-Entwicklungen stattfinden, weil dort eine gewisse Masse, ein gewisses Volumen ist. Und es ist halt alles irgendwie nicht cool, weil es ja eigentlich Trieb ist und Sex und Porno, will keiner was mit zu tun haben, alles so diese dunklen Ecken, aber gleichzeitig stehen dahinter unheimliche wirtschaftliche, ökonomische System. Also es ist schon auch irgendwie systemrelevant. Und das fand ich dann halt interessant, dass in diesem Trieb etwas ist, das ist nicht immer rational kognitiv erklärbar. Es wird ausgelebt, es hat so etwas Animalisches eigentlich. Und ich fand das interessant, gerade im Zusammenhang mit der Architektur. Damals gab es auch dieses berühmte Buch von Rem Koolhaas – das war dieses ganz dicke "S, M, L, XL", und Koolhaas hatte ja auch immer wieder auch diesen Begriff – oder das kam zumindest immer wieder mal so hoch, also habe ich das mit aufgefangen – Architektur ist Porno. Und das fand ich interessant, oder dass Architekten – habe ich dann auch gemerkt – oft gesagt haben, wenn die ein Gebäude toll fanden, dann haben die den Begriff Porno benutzt. Und das fand ich dann interessant, weil du sagst, auf der einen Seite…
Ist irgendwie verschwunden seither – sehr 90er Jahre.
Ja, genau. Und das, was ich so faszinierend daran finde, ist eigentlich, dass man eigentlich bei Pornografie einfach auch mal überlegen muss, es geht jetzt nicht nur um den Sex, sondern es geht eigentlich darum, was es an maximaler Energie oder vielleicht sogar Empathie auslösen kann, um dich zu motivieren, dich durch solche intellektuellen Bretter zu bohren. Also irgendwie, weißt du, das sind wie so zwei Gehirnhälften: Das Eeine sind halt einfach total analytische, hochkomplexe, hochintellektuelle Analysen, die es bedarf, Architektur, Städteplanung durchzuziehen. Und gleichzeitig hast du es aber auch mit einer Triebhaftigkeit zu tun, wie dann zum Beispiel auch im übertragensten Sinne Wegabkürzungen genommen werden, dass du einen öffentlichen Platz hast und die Leute gehen drumherum – nein, sie gehen durch die Mitte. War nie geplant und dann mit der Zeit entsteht ja etwas. Also dieser Herdentrieb, dieser pornografische Trieb, dieses Wollüstige und so. Und gleichzeitig merkst du, wenn du dich mit Architektur auseinandersetzt – das sind zum Beispiel auch meine Erfahrungen – dass du spürst, es wird dir unheimlich schwer gemacht eigentlich, Architektur zu bauen, die du einfach nur geil findest, sag ich mal, weil die Auflagen wieder so eine Komplexität erreichen, dass du dich sehr disziplinieren musst. Also du bist in einem in einem Feld unterwegs, das getrieben ist. Ganz berühmte Aussage, vielleicht von Le Corbusier – "it looks perfect, perfectly made but it doesn't move me" –, wo ich genau denke, genau das ist das: Du hast eigentlich die Chance, das Potenzial etwas zu tun und du willst es bauen und dann hast du irgendsoeine Bürokratenherde, die aber auch alles daran setzt, das so klein zu machen, wie es nur irgend geht. Und deswegen fand ich das wichtig, dass du triebgesteuert bist, dass du auch Nerd bist. Das ist liebevoll gemeint: Das sind Menschen, die einfach eine Passion, sich für eine Passion committen, das durchziehen. Und das Pornografische ist natürlich auch immer ein Stück weit Provokation, ganz klar. Aber da drin steckt jetzt nicht das ganze Thema Sex, sondern da drin steckt eigentlich das, was an Energie damit verbunden ist, irgendwo hinzukommen.
Kommen wir von der Pornografie zum Fetischobjekt. Interessant an dieser Ausgabe und an allen Ausgaben, die seit involviertheit von Meiré und Meiré seit 2008 entstanden sind – hier ist ja ein wunderbarer Stapel mal aufgebaut. Wenn man sich diesen Stapel anschaut, dann könnte man fast an den berühmten schwarzen Monolithen von "2001", Stanley Kubrick, denken. Auch die einzelne Ausgabe ist ja sehr, fühlt sich fetischhaft an und ist vermutlich genau so auch gestaltet worden. Es ist ein Druckerzeugnis im besten Sinne.
Das waren die ganz unten, die ersten vier, da komme ich jetzt nicht dran. Die sind der Wahnsinn, auch mit der Tätowierung und so.
Also es ist wirklich ein Druckerzeugnis im besten Sinne des Wortes. Und interessant ist ja, dass dieses gerade zu fetischhafte Objekt genau in dem Zeitpunkt entsteht, als die ARCH+ als Zeitschrift immer mehr zu einer Plattform, zu einem Netzwerk wird. Also die Verästelung der Institution oder der Anti-Institution ARCH+ geht einher mit einer starken Objektheftigkeit des Druckerzeugnisses.
Ja, brauchst du. Das wird Kultobjekt. Darf man so nicht sagen, es ist immer ein Unwort. Aber das ist ja das Interessante: Guck dir alleine, wenn wir jetzt mal den Sprung auf heute machen, guck dir Apple an. Guck dir das iPhone an – das ist ja mehr als ein Computer! Es ist ein Fetisch, es ist ja irgendwie ein Kultobjekt. Und ich glaube, genau das war das ja, zu erkennen, dass du eigentlich mit der Gestaltung am Anfang anknüpfst, um deutlich zu machen, die Bewegung, die wir mal gestartet haben, ist noch immer relevant. Und ich fand einfach, dass das hiermit nicht mehr von der Designgeschichte – das Design, ich sage gar nicht, ob das gut oder schlecht ist, ich hatte nur das Gefühl, es entfernt sich zunehmend visuell von dem, wo es mal angefangen hat. Weil kontextuell betrachtet die Zeit sich weiterentwickelt hat und gewisse grafische Momente an Bedeutung verloren haben oder sogar neu codiert wurden zwischenzeitlich. Und deswegen wollte ich das wegmachen und gucken, wieder da anfangen, dass man das wie so einen Bug – man nimmt das raus, so eine Entwicklung. Das ist völlig okay, Trial and error, aber jetzt hast du das Gefühl, die Geschichte erzählt sich hier weiter. Und gerade wenn du spürst, du willst eine Bewegung starten und du hast eine Community, dann geht es natürlich auch darum – eine Community, das ist wie eine Familie, die brauchen Rituale. Und diese Rituale sind Fixpunkte in einer sich verändernden Welt, aber wo man zusammenkommt, von mir aus die Metapher des Lagerfeuers. Und so wusstest du, du hast viermal im Jahr oder je nachdem hast du halt die Möglichkeit zusammenzukommen. Und das war ja sehr, sehr wichtig, ein wichtiger Schritt – nicht clever, sondern notwendig –, zu erkennen, dass über das Magazin hinaus eine Marke etabliert, ein Code, der dann aber natürlich auch andere Kanäle benötigt, um seine seine Community erreichen zu können. Das heißt, du musst dich – du musst Treffen organisieren, du musst Vorträge halten, du musst vielleicht sogar auch ins Internet. Du musst Plattformen schaffen, du musst die Dinge natürlich dann halt auch einfach wirklich kanalisieren dahin, wo die Leute auch unterwegs sind. Und das war der – ich glaube genau das, wenn ich jetzt darüber nachdenke, genau dieser Moment: Diese Sehnsucht, dieses, mit Verlaub, Mittelmäßige wegzunehmen, wegzufiltern, um wieder an der Relevanz anzudocken. Weil so habe ich das noch nie betrachtet – und bin gerade ein bisschen stolz, weil ich finde, es geht auf. Auch wenn man natürlich weiß, heute würde man den Titel so heute nicht mehr machen.
Meiré und Meiré gestaltet seit zwölf Jahren, seit 2008, die ARCH+. Hier sehen wir die erste Ausgabe, hier sehen wir die aktuelle Ausgabe. Wir sehen – du hast es gerade schon angesprochen oder angedeutet – durchaus auch eine Veränderung des abgebildeten Frauenbildes. Was hat sich in diesen zwölf Jahren verändert?
Ja, das Machotum ist abgeschafft worden. Das ist ja richtig so. Das war ja alles Männerdomäne. Es ist wichtig, dass wir heute erkennen, wieviele Frauen am Bauhaus tätig waren. Das wurde immer irgendwie so nebenbei mal erwähnt. Und man merkt natürlich, dass genau daran wahrscheinlich auch die Gegenwart gekrankt hat lange Zeit – dass es eine reine Männerdomäne war. Das geht nicht. Du brauchst halt einfach eben – da sind wir halt auch wieder vielleicht bei Trieb und bei Ratio – du brauchst beides: Du brauchst Mann und Frau mit ihren Sehnsüchten, mit ihren Potenzialen, um Gesellschaft letztendlich zu etablieren oder einer Gesellschaft ein Bild zu geben. Was ich interessant finde, ist halt einfach wie der Balken sich zum Beispiel auch durchgesetzt hat. Das war wirklich ein starkes, kontinuierliches Element, nach wie vor geblieben.
Der ist hier ein bisschen länger geworden, oder?
Das wäre jetzt interessant. Das müssten wir dann nochmal überprüfen. Aber interessant, du kannst heute, glaube ich – also das ist jetzt von Wesselmann natürlich aus einer Collage ausgeschnitten, das hatte dieses Collagenhafte zurück hier zum Beispiel zum zweiten Titel. Und das war bewusst, diese Ästhetik mitaufzugreifen. Aber du kannst heute – in dieser Form würde ich im ARCH+-Kontext, wenn das tatsächlich nochmal der Fall sein sollte, dass du es mit Nacktheit zu tun hast, damit gehst du heute anders um. Zumal das einfach auch ein globales Phänomen ist. Und wir haben natürlich eine unglaubliche Sensibilität in unserer Gegenwartskultur, nicht nur in der Genderfragen – generell. Es ist manchmal auch schon ein bisschen schwierig, also es ist schon eine Challenge halt auch, aber ich könnte das heute so nicht mehr machen. Das fühlt sich dann nicht mehr richtig an interessanterweise.
Hat sich auch grafisch im engeren Sinne etwas verändert, oder sind das vor allem die Inhalte?
Ja, wir sind schon auch – natürlich! Das ist das halt auch, ich glaube, "Entwurf der Moderne", ich glaube, das war in dem Interview, was ich mit Anh-Linh hatte – war das Habermas, der sagte, ich glaube, die Moderne ist eine Bewegung, eine endlose Bewegung.
Ein unvollendetes Projekt.
Genau so sehe ich das auch. Deswegen bin ich ja ein Verfechter – ich habe das damals schon Ende der 90er für mich immer ausgesprochen. Da wurde ich mal belächelt. Ich habe den Unternehmen gesagt Ihr müsst eine "Liquid Identity" aufbauen – nein, um Gottes Willen, "Liquid Identity", wir dürfen uns nicht verflüssigen, wir sind die Eiche im Fluss. Da sage ich, auch die wird mal fallen. Ihr müsst anpassungsfähig sein. Heute reden wir gerade nach dem, oder in diesem Post-Lockdown, Post-Covid. Wir reden von Resilienz, Anpassungsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit. Und ich glaube, ein Magazin ist mehr denn je damit gut beraten, im Kern zu erkennen, wer bist du, wofür stehst du. Also diesen Kompass, den musst du klar haben. Den hatte ARCH+ zwischenzeitlich meiner Meinung nach dann um 2006, 2005 vielleicht ein bisschen aus den Augen verloren, im Visuellen gesprochen. Und du brauchst diesen inneren Kompass, weil du musst natürlich auch mit jeder Ausgabe überprüfen, bist du noch am am Nerv der Zeit. Und dementsprechend musst du auch, muss ich mich auch als Grafiker oder als Art Director natürlich immer mit meinem Team überprüfen, wo braucht es neue disruptive Momente. Das war ja alles eine Phase, weiß ich nicht, nach dem Krieg, keine Ahnung so, ja. Da ging es natürlich um die Etablierung von Qualitäts-, von Standards. Heute arbeiten wir ja vehement daran, Standards abzuschaffen oder, wenn die Gesellschaft das jetzt postuliert, wir brauchen neue Standards für ein "New Normal", dann möchte ich aber eher Menschen dazu ermutigen, empowern, ermöglichen, dass sie an diesen neuen Standards kreativ mitarbeiten und dass uns das nicht wieder einfach aufoktroyiert wird, ja, von der Regierung. Also insofern ist es wichtig, weil du musst – also wichtig im Sinne von, du musst Typografie, du musst Bildsprache, du musst Farbcodes, du musst diese Dinge natürlich aufgreifen. Und was natürlich passiert ist in den letzten zwölf Jahren, ist die Digitalisierung. Ich meine, wir haben angefangen, da gab es das iPhone nicht in der Form. Oder doch? Müsste ich mal überlegen, da war ich vielleicht ein bisschen schnell. Aber die Digitalisierung, so wie wir sie heute kennen, war zu den Zeiten auch noch nicht denkbar. So, und heute merkst du natürlich, dass ein Magazin als Print wieder gerade durch die Digitalisierung – ich erinnere, wir hatten vor einigen Jahren immer diese Diskussion, wird Print sterben wegen der Digitalisierung. Und ich war damals schon fest der Überzeugung – vielleicht lag das auch daran, dass ich mit Leuten wie Jörg Koch bei 032c neben Anh-Linh halt und Nikolaus Kuhnert bei ARCH+ oder mit Gabriel Fischer seinerzeit auch brandeins mitgründen konnte. Also sprich, ich hatte immer gute Weggefährten an meiner Seite, mit denen ich mich gut austauschen konnte, wo ich auch gespürt habe, dass es genau darum geht, das zu überprüfen, dass du halt merkst, dass du im Zuge wie sich die Welt verändert, dass du dir selbst treu bleibst und gleichzeitig aber anpassungsfähig bist.
Hast du Prognosen für die nächsten Jahre, was die Zukunft des Designs, des Kommunikationsdesigns im Allgemeinen und der ARCH+, der Gestaltung der ARCH+ im Besonderen betrifft?
Ja, ich denke halt – also damals, wie gesagt, wenn ich nochmal zurückgehe, das war halt dieser Moment, wird Print sterben. Nein, ich glaube, dass Print kostbarer wird, wenn der Inhalt von den Richtigen kuratiert ist. Es geht ja darum, dass du heute in einer – wir haben ja auch diesen Schritt vollzogen von der Industriegesellschaft in die Wissensgesellschaft oder Informationsgesellschaft, rein in die Wissensgesellschaft – dass du erkennst, Wissen ist heute einfach ein Gut, eine Ressource, die muss aufbereitet werden, die muss vermittelt werden. Und dafür stehen Magazine halt auch ein. Das macht sie auch relevant. Und da ist auch Papier das bessere Format als ein Internet. Was wir gemerkt haben, ist also, dass man schon sagen kann, nein, Print stirbt nicht aus. Nur das, was nicht wirklich relevant ist, verlagert sich auf das Digitale. Und wir merken aber auch, es gibt eine, die sogenannten, diese Generation Z, beziehungsweise "Digital Natives". Man muss das nicht nur an einer Generation festmachen, aber wir sind ja noch eine Transformationsgeneration, die das Analoge ins Digitale miterlebt hat und mit bridget, wenn man so will. Heute hast du Menschen, die halt einfach aufwachsen – ich sehe das auch bei meinen Kindern, ich habe drei Söhne, die eben 20, 18 und 14 sind, und die unterscheiden nicht zwingend zwischen Print oder digital. Es ist ein Informationskanal, aber Print oder ein Magazin hat für sie diesen Fetisch, weil es ist– es hat eine Stofflichkeit, es hat einen Klang, es hat einen Geruch. Und du weißt, wenn du die erste Seite liest bis zur letzten, dann hast du das Thema für dich verinnerlicht. Beim Netz, im Internet, auf Blogs oder Feeds hast du immer das Gefühl, jetzt weiß ich Einiges, aber es könnte ja immer noch weitergehen, weil es nicht aufhört. Insofern ist das schon mal wichtig, dass man erkannt hat in der Digitalisierung, dass Magazine per se kostbar sind – und Print hat eine Renaissance. Umso wichtiger ist, dass man noch mehr Augenmerk auf die Gestaltung legt, auch auf die drucktechnische Veredelung – weil es sind Fetische. Also haben wir in der Entwicklung jetzt bei ARCH+ das auch geschafft, dass wir einen Prägestempel mal haben oder mit einer Lackierung arbeiten. Ich weiß, dass das alles Geld kostet, aber am Ende macht es das Produkt an sich noch kostbarer, weil die Magazine brauchen und vor allen Dingen auch einen ansprechenden Titel. Der muss nicht alles erklären, aber der muss in seiner Rätselhaftigkeit wie hier, der darf kryptisch sein, aber er muss eine Faszination ausüben, damit er nicht weggeworfen oder weggelegt wird. Das heißt, deswegen finde ich auch – das haben wir auch gelernt durch das Digitale –, dass auf dem Titel eigentlich weniger Informationen sein müssen. Deswegen auch hochinteressant, wenn wir zur ersten Aufgabe gehen: Da wird nichts– das ist der Absender und das ist der Table of Contents. Also "deliver what matters". So, und heute sind wir natürlich viel visueller geprägt, deswegen geht es dann halt auch um visuelle Codes. Das, was hier vielleicht aufgelistet wird, steckt kryptisch codiert in diesem Bild. Und die Farbe ist halt einfach rein geschmäcklerisch gewählt, weil wir reden hier über Design und Design ist halt einfach nochmal eine andere Empfindungsebene oder Wahrnehmungsebene als Architektur im Topos Urbanität. So, und das finde ich halt alles ganz wichtige Indizien, dass wir merken generell, wir müssen uns im Print genau konzentrieren auf das, was ist relevant. Nimm deine Zielgruppen ernst, schaff ein "Front of Book", schaff deinen Schwerpunktfokus und deinen "End of Book". Schaff ein Cover, das appealing ist, das auch vor allen Dingen Social-Media-tauglich ist – weil es geht um diesen schnellen Punsch, den du brauchst, weil du musst am Ende auch verkaufen. Und dann musst du, wenn wenn es dir wirklich um Relevanz geht, tatsächlich es schaffen, dass die Inhalte so aufbereitet werden und ein eigenes Format definieren in Aussehen und Qualität für die digitalen Kanäle – also zum Schwerpunkt Europa vielleicht eben halt auch die Webseiten mit Ted-Formaten oder Podcasts natürlich. Weil man merkt halt einfach im Zuge dessen, es ist eine – du musst die Dinge auch natürlich, und das war hier immer nur vielleicht auf Distanz und vielleicht auch dieses Demonstrieren. Heute musst du versuchen, das, was da drinsteckt, eigentlich für einen Konsumenten aufbereiten, der noch nicht weiß, dass es ihn interessiert. Aber es wäre vielleicht für ihn richtig. Und damit er dich mitkriegt, musst du deine Botschaften sehr klar filtern. Und da kannst du in einer extrem visualisierten Gegenwartskultur musst du natürlich genau überlegen, welche Codes zündest du da. Also das ist jetzt schon aus heutiger Sicht sehr elitär. Das kannst du als Beilage machen innendrin, wenn du sagst, nur rein typografisch. Also diese Geschichten, wenn du schon in so einem Heft bist. Und das finde ich halt interessant. Deswegen gehen wir ja zum Beispiel auch bei der aktuellen Ausgabe: Du siehst, da steht nur noch Europa, da drüber hast du eine Schwarze, weißt du, die hat wiederum ein iPhone in der Hand, da hinten brennt wieder irgendwas – und dann wieder so einfach eine wahnsinns tolle Sprache: "Infrastrukturen der Externalisierung", wo du sagst – wow! Das ist so wie auch "Orchetral Manoeuvers in the Dark", wo ich wieder bei meinen Achtzigern bin, was ich immer liebe, weißt du, wo ich dann auch gesagt habe, ich war damals sehr geprägt eben von diesen Musikbands, die halt lange Namen hatten, "Frankie goes to Hollywood" von mir aus auch und so und dieses Kryptischer darin. Aber gleichzeitig, du kombinierst irgendwie eine kryptische Informationsebene mit einem Schlagwort wie Europa, wie ein Hashtag eigentlich, mit einem ganz starken Visual und oben ganz klar ARCH+. Und dann auch der Farbcode: Es geht nicht um Gefallen – es geht einfach um Punch. Und das ist wichtig, weil diese Medien haben, oder diese Redaktionen haben nur bedingte Ressourcen und deswegen fand ich das zum Beispiel jetzt einfach mal in dem Kontext vielleicht nochmal, um das abzuschließen: Was ich großartig finde, hier zum Beispiel, weil wir eben über das Frauenbild gesprochen haben, das war natürlich einfach großartig, wenn man weiß, dass es natürlich KI-generierte Porträts sind, also kein Abbild oder Porträt einer echten Person. Was ich aber wieder so ganz typisch und so genial an ARCH+ finde, ist, dass dann da drunter steht, "The story is about you" – aber jetzt nicht Google, sondern Karl Marx. Und das ist halt einfach so, wo du denkst, ja. Und die Ästhetik ist eben postdigital. Und das ist, wenn du so willst, ist das die Stufe nach Otl Aicher, "Der Entwurf der Moderne". Hätten die damals schon Photoshop gehabt oder KI und so, hätten die das wahrscheinlich auch gemacht, aber das Modernste war damals wahrscheinlich Siebdruck und Komplementäfarben. Gleichzeitig, was ich großartig finde, ist, dass man eben sich nicht scheut, Themen anzusprechen, die halt auch gerne ausgeblendet werden, wie hier mit den braunen Räumen. Also hier, " Rechte Räume – Bericht einer Europareise". Und das ist ein Spektrum, das ist so relevant und das muss halt auch eine, also jetzt kann ich da nur wieder in aller Demut sagen, ich als Gestalter, ich kann die Inhalte gestalten. Ihr entwickelt die in der Redaktion, aber ich gebe alles dafür, dass das natürlich zu einem Objekt wird, das, wie du eben gesagt hast, ein Fetisch wird – in der Hoffnung, dass ich das natürlich auch bei mir habe. Und dann lege ich das hin, weil es gut aussieht, und gleichzeitig weiß ich aber, es ist relevant. Und das ist dann für mich Ästhetik für Substanz. Und das ist ja für mich eigentlich generell meine, wenn du so willst, meine Mission: nicht einen Stil zu etablieren – das ist immer das schönste Geschenk, was nebenbei passiert – aber es geht darum, eine Ästhetik zu definieren im Laufe der Zeit für Substanz. Und die Substanz kommt eben aus der Redaktion ARCH+.
Wie hat sich deine Wahrnehmung von Architektur, deine Auseinandersetzung mit Architektur durch die Beschäftigung mit der ARCH+ verändert? Ich frage auch deswegen, weil du ja auch Bauprojekte verfolgst.
Also wir haben unser eigenes Bauprojekt, das ist richtig. Und also ich kann nur sagen, Architektur hat mich auch schon vor ARCH+ sehr, sehr interessiert. Durch ARCH+, durch die – eigentlich laufen diese Produktionen ja, weil die sehr aufwändig sind, die laufen ja eigentlich jeden Tag bei uns hier in der Factory. Und das Interessante ist, mein Blick wird nochmal geschult, auch auf die Probleme in der Architektur oder auch, besser gesagt, vielleicht eher auf die Möglichkeiten, Probleme zu meistern. Also ich fand immer die Ausgabe zum Beispiel auch über Vietnam hoch faszinierend, was Anh-Linh dort an Bildern gebracht hat, wie man mit Baumaterial, mit einfachen Materialien, sogenannten Do-it-yourself-Material also Werstattmaterialien, wie man aber unglaubliche Räume bauen kann. Ich habe auch begriffen, dass Architektur nicht im Status enden darf, dass es eigentlich einer permanenten Transformation unterliegt. Und was ich faszinierend finde, ist auch einfach zu erkennen, die Architektur ist ja eigentlich eine statische – also Immobilie. So, und wie kannst du trotzdem diese geistige Mobilität, der wir jeden Tag ausgesetzt sind, wie kannst du die in eine Manifestation von Gedanke in Material, wie kann man dem trotzdem gerecht werden? Und was ich selber für mich gemerkt… Also insofern ist das für mich ein Stimmungsmesser, es ist eine hohe Inspirationsquelle, es ist alleine die ganze Entwicklung in den letzten Jahren, was Arno Brandlhuber mit seinem Team geschaffen hat, wie er sich etabliert hat, mit dem ich auch bei Siedle zusammenkommen konnte – Wahnsinn, wie da in Nischen gedacht wird. Und das ist das, was ich selber an meinem eigenen, also an unserem eigenen Bau, den mein Bruder Marc angestoßen hat, was ich da gemerkt habe ist, du schaffst für dich selbst eine Möglichkeit. Du kaufst ein Grundstück und sagst, du baust ein Haus. Okay, du baust das Haus. Für wen? Okay, vielleicht für mich. Nein, für uns, für uns und mehr. Sind wir die Gründergeneration? Wollen wir – weil das meine ich mit Architektur: Du schaffst eine Foundation, du schaffst ein Möglichkeitsset. So, wollen wir, dass Meiré und Meiré weiterexistiert? Wir haben Kinder, Marc hat Kinder, ich habe Kinder. Wollen wir, dass die Kinder vielleicht in dem Unternehmen weitergehen – müssen die nicht, wenn die das nicht wollen, also das ist locker. Das heißt aber, bauen wir ein Haus für Generationen oder bauen wir es für uns? Bauen wir ein Haus für eine Kommunikationskultur, die noch vor fünf Monaten völlig anders sah als heute? Heute brauchen wir keine 100 Büros, wenn wir 100 Mitarbeiter haben. Wir brauchen keine 100 Laptops, 100 Offices, 100 Chairs, 100 Desks. Die meisten machen Homeoffice. Das haben wir gelernt. Technologie ist heute ein Enabler. Es gab diese unglaubliche Lernkurve in der Gesellschaft durch den Lockdown. Vorher war es irgendwie so ein Technohype – heute ist es einfach nur ein Enabler, Menschen zusammenzubringen. Ich glaube, dass das in der Industrie bleiben wird für lange Zeit, dass du halt große Meetings, wenn Leute anreisen müssten, dass die das gar nicht mehr machen brauchen, dass du sagst, wir machen das über Zoom oder wie auch immer. Und was ich sagen wollte, jetzt zurück auf die Architektur: Also solche grundsätzlichen Fragen, die ich mir vor ARCH+ in der Form vielleicht gar nicht gestellt hätte, also mein Wissen um die kulturelle, gesellschaftliche, soziale Verpflichtung von Architektur ist natürlich unweigerlich geschult worden. Und was ich merke ist halt, was ich enttäuschend finde, ist tatsächlich, dass ich, obwohl wir uns dann zwei tolle, internationale Architekturstudios gewinnen konnten für unser Bauprojekt, dass du merkst, dass du dann bei der Stadt, wo du eigentlich denkst, das ist – du hast deine Finanzierung halbwegs sicher mit den Banken und den Investoren et cetera, du hast einen tollen Entwurf – passt, die Geschichte für dich ist klar und du gehst zur Stadt und merkst, du fällst in einen Moloch. Du fällst in eine Welt von Regularien, wo du rausgehst und sagst, will ich das überhaupt. Will ich das? Also und ich weiß nicht, ob das ein rein Köln-spezifisches Problem ist, aber du musst wirklich – du wirst so systematisch desillusioniert für das Bauen, wo du dich fragst, also, entschuldige, wer heute Architekt ist oder bauen will, der muss ein Triebtäter sein. Das geht gar nicht anders, weil du bist – das ist dann eine andere Form von Trieb. Aber du fängst an, irgendwann entwickelst du mit der Faust in der Tasche, okay, macht ihr mir wieder eine schöne Auflage von der Feuerwehr. Aber wir gehen da durch, wir machen das. Aber du gehst jedes Mal wieder zurück und wirst es gepuncht und denkst dir nur: Was? Für diese Stadt? Why? Also ganz wieder zurückgeworfen – ich muss das dann sonntags nochmal lesen, um zu fühlen, ja, ich gehe am Montag wieder verstärkt in die Welt, um das zu machen. Und das ist dann für mich halt auch so ein Kreis, wo ich sage, das hat sehr viel mit Idealismus zu tun.
Dieses Projekt, das du jetzt gerade angedeutet hast, hat den offiziellen oder inoffiziellen Namen Neo-Noto-Projekt. Neo-Noto steht für Notation des Neuen, habe ich jetzt gelernt.
Ja, das ist ein Kunstwort, aber das könnte man so da hinführen.
Was könnte die Notation des Neuen jetzt im Bereich Architektur sein?
Tja, ich bin ja nur Gestalter. Nein, also ich denke, natürlich geht es darum, eine Idee zu entwickeln, wie sich die Gesellschaft entwickeln wird im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung, unter dem neuen Bewusstsein, dass Ressourcen endlich sind. Natürlich reden wir über Themen wie "How to shape a digital society", natürlich reden wir darüber, "squeeze the squaremeter", all diese Dinge. Was machst du mit stationären Handel? Was machst du gerade mit langsam vereinsamen den Innenstädten? Also das sind ja alles ganz zentrale Fragen. Wie gehen wir damit um? Schaffen wir parasitäre, temporäre Strukturen, wie wir unsere Projekte in Jobdefinition temporär irgendwo andocken? Ich glaube, das Faszinierende ist nur, durch die ganze Post-Covid-Situation – oder wir sind ja noch in der Covid-Situation, aber spielen wir dieses Post-Covid durch – wird alles nochmal auf den Prüfstand gestellt. Wir können schon fast schon wieder von so einer Nullmessung sprechen. Und die Frage ist halt, was wollen wir. Wir als Individuen, wir als Community, wir als Gesellschaft, als Kultur. Und da wird es dann natürlich auch politisch.
Vielen Dank, Mike, für dieses Gespräch!
Super, danke dir, Stefan!