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Joachim Krausse im Gespräch mit Stephan Trüby

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ARCH+

Abstract:

Der Architektur- und Designtheoretiker sowie langjähriger fester Mitarbeiter der ARCH+ über Buckminster Fuller, seine Beschäftigung mit dem Arbeiterwohnungsbau und die Auseinandersetzungen innerhalb der Linken in den 1970er Jahren.


Das Gespräch fand am 17. Februar 2020 in Berlin statt im Rahmen des Forschungsprojekts "Innovationsgeschichte im Spiegel der Zeitschrift ARCH+" und erschien erstmals auf dieser Website im Juli 2021.


Redaktion:
Leo Herrmann, Sandra Oehy

© IGmA/BBSR

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Joachim Krausse im Gespräch mit Stephan Trüby

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I. Anfänge in der künstlerischen Avantgarde

Herr Krausse, Sie gelten als einer der wichtigsten Autoren im ARCH+-Umfeld. Sie sind Theoretiker, Publizist, Übersetzer, auch Filmemacher. Sie studierten Philosophie, Soziologie, Literatur und Publizistik in Tübingen, Wien, Hamburg und Berlin. Wie kamen Sie eigentlich zur Architektur? Wie wurden Sie ARCH+-Autor? Wie kam es zu Ihrem ersten ARCH+-Text im Jahre 1970 in der ARCH+ Nummer elf zum Thema "Stadtplaner und Reformengeister"?

Ja, das erklärt sich eben nicht aus meiner akademischen Ausbildung. Es gab daneben, also insbesondere in den Jahren 1964 bis '67, schwerpunktmäßig, eine andere informelle Ausbildung, als ich künstlerisch tätig war. Und darüber ergaben sich die Themen, an denen ich dann mein ganzes weiteres Leben gearbeitet habe. Das spricht jetzt nicht gegen die akademische Ausbildung, denn – das wurde mir dann eigentlich in der Zusammenarbeit mit Designern oder Architekten auch deutlich–, dass das durchaus hilfreich ist, wenn man so eine literaturwissenschaftliche und philosophische Ausbildung als Hintergrund hat, weil viele von denen können nicht schreiben. Also zum Beispiel mein Freund Christian Cruxin, Grafikdesigner, Galerist, ein großartiger Gastgeber für Gespräche, die in der Galerie stattfanden. Das ist eigentlich also meine zweite Ausbildung gewesen. Alles, was ich weiß, über Gestaltung, über Kunst, kommt aus diesem Umfeld, in dem ich selbst aber aktiv tätig war. Also ich habe Objekte gemacht, also literarische Objekte, die so an der Grenze zwischen Bildender Kunst und Literatur waren – "Visuelle Poesie". An der Ausstellung habe ich auch teilgenommen. Also ich habe an Ausstellungen teilgenommen, die – das letzte, wo ich teilgenommen habe, war "Cybernetic Serendipity". Da finden Sie meinen Namen in dem Katalog. Leider ist nichts abgebildet. Das war eine Dichtmaschine, so ein Koffer mit mit einem Satz von Karten und einer Kartenmischmaschine und Anleitungsheften für die Erstellung eines Textes. Gut, also daraus gehen eigentlich meine Kontakte zu den Architekten und zu den Designern hervor. Also mein Lebensweg erklärt sich weniger eigentlich aus meinem akademischen Studium als vielmehr aus diesen Aktivitäten in der künstlerischen Avantgarde. Und da kam auch der Kontakt zustande zu einem Architekten, also der Stand der ZERO-Gruppe nahe, also die ZERO-Gruppe spielt auch wirklich eine sehr große Bedeutung für mich: Wolfgang Döring, der ein sehr schönes Frühwerk, so ein experimentelles Frühwerk realisiert hat oder teilweise realisiert hat, aber jedenfalls sehr enge Kontakte zur ZERO-Gruppe und zu Günther Uecker hatte. Und ich sollte ihm helfen, ein Buch zu schreiben. Und bei Durchsicht eines Entwurfs stelle ich fest, dass Wolfgang Döring sich auf jeder zweiten Seite auf einen Menschen namens Buckminster Fuller bezieht. Und dann dachte ich, verdammt, das kannst du jetzt nicht seriös schreiben oder entwickeln, ohne zu wissen, was es damit eigentlich auf sich hat. Und dann ließ ich mir über einen Freund in London – in Deutschland war ja fast überhaupt nichts vorhanden – Texte kommen. Und das war ein Eiermann-Schüler übrigens, also alle meine Architekturfreunde aus dieser frühen Zeit waren Eiermann-Schüler. Und ja, so kam es dann, dass ich also den Text für Wolfgang Döring nicht geschrieben habe, sondern dann begonnen habe, 1968 den ersten Text Buckminster Fuller zu veröffentlichen auf Deutsch. Und das ging dann bis 1973. Dann dachte ich, das Kapitel ist erledigt. Und dann kam tatsächlich eine andere Periode. Und dann so in den, ja, 1990 oder so, mit der Gründung dieses "Laboratoriums der Zivilisation" von Bernd Meurer in Darmstadt – der brachte so ein paar interessante Leute zusammen und so – und da dachte ich, ja, es ist eigentlich keine irgendwie umfassende Ausstellung mal zu Buckminster Fuller gewesen und schlug das vor als Projekt dieses" Laboratoriums der Zivilisation". Und daraus ist dann tatsächlich 1999 zusammen mit Claude Lichtenstein also unsere internationale Wanderausstellung geworden "Your Private Sky" und die beiden Bände, die wir dann veröffentlicht hatten – und zwar eben das erste Mal auf der Grundlage des Archivs, des umfangreichen Archiv von Fuller, was auch bis dahin eigentlich nicht zugänglich war, sondern also genau 1994. Ich glaube, ich war der zweite oder dritte Nutzer in diesem Archiv und habe dann die Forschungsarbeit an Ort und Stelle gemacht in Santa Barbara. Und dann bis zum Schluss hing das an einem seidenen Faden, ob das Projekt irgendwie was wird oder nicht – und wir haben da pures Glück gehabt.

Sich in der Zeit um 1970 gerade in Deutschland für Buckminster Fuller zu interessieren, scheint mir aus heutiger Perspektive höchst originell zu sein. Aus meiner zeitlichen Distanz sehe ich gerade in Deutschland in der sogenannten 68er Generation einen recht starken Zug zur Technikkritik. Wie haben Sie Ihre Beschäftigung mit Buckminster Fuller im Kollegen- und Kolleginnenkreis eventuell verteidigen müssen?

Ja, also verstanden hat das niemand. Also selbst gute Freunde von mir, also Hartmut Frank beispielsweise erinnerte mich neulich daran, dass sie damals immer gesagt hätten, "Fuck the Buck". Also das war nicht besonders originell, aber das gibt also exakt das Vorurteil wider, dass das irrelevant sei. Und ich fand das gar nicht, dass das irrelevant sei. Und vor allen Dingen habe ich mich ja dann daran gemacht, also diese Verbindung aus Diskurs und Design, das zu verstehen überhaupt. Und ich habe ziemlich lange gebraucht, muss ich sagen. Und kam eigentlich erst mit diesem Buch hier, 1973, "Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften" – da hielt ich es für für notwendig, also zum Beispiel dieses Entwurfswerk in einer knappen Fassung den Texten zur Seite zu stellen. Weil ich dachte, also ohne zu wissen, was der da eigentlich entworfen hat und wie die Konkretisierung irgendwie aussieht, sind diese Schriften kaum verständlich – das ist schwer zugänglich.

Woher kamen die Vorbehalte Ihrer Ansicht nach in Deutschland gegenüber Figuren wie Buckminster Fuller? Liegt das an einer vielleicht allzu schnellen Lektüre der "Dialektik der Aufklärung", bei der man dann auf die Idee kommen könnte, dass Technikrationalität und Planungsrationalität geradewegs in den Faschismus führen?

Das ist zwar kurzschlüssig, aber da ist was dran. Also es war ja eigentlich niemand in der neo-marxistischen Szene bereit, sich mit den Technologien wirklich auseinanderzustzen. Ich meine, die orthodoxen Marxisten schon, weil die natürlich irgendwie mit dem Begriff der Produktivkraft abstrakt ganz sicher dann ein etwas anderes Verhältnis dazu hatten oder so. Oder man denke nur an die Pflege der Naturwissenschaften in der DDR, ja, also die naturwissenschaftliche Ausbildung in der DDR, die war eben einfach ziemlich gut, muss ich sagen. Ich benutze heute noch also Handbücher aus der DDR, so im Bereich Chemie beispielsweise, Physik, Biologie und so, die wirklich sehr gut sind. Und also die orthodoxen Marxisten haben am ehesten noch irgendwie ein Verständnis dafür gehabt, aber der Neo-Marxismus eigentlich überhaupt nicht.


II. Beschäftigung mit Film und Arbeiterwohnungsbau

#Tendenzwende

Der Konflikt zwischen orthodoxen Marxisten und einer anti-autoritären Linken durchzieht ja auch die Geschichte der ARCH+-Redaktion in den Siebziger Jahren. Als Ihr erster Artikel, den Sie gemeinsam mit Jörn Janssen und Joachim Schlandt verfassten, im Jahre 1970 in der ARCH+ erschienen mit dem Titel "Stadtplanern Reformgeister. Planung als Reformgedanke". Wie passt dieser Text eben in das Panorama einer Linken der damaligen Zeit?

Ja, das ist ein typischer Ausdruck dieser Linken. Und ich muss sagen, es war ein verzweifelter Versuch also, sich dem anzupassen. Also ich muss sagen, das ist für mich also ein Zeugnis sozusagen der Irrungen. Ja, also ich erinnere auch genau noch diese Situation damals: Das war geschrieben in der Zeit, wo diese K-Gruppen aufkamen, die Spaltung, die Fraktionierung der Linken und so weiter. Schlandt war Maoist zum Beispiel oder Jörn Janssen war eben DKP und so weiter. Und ich bin eigentlich mit allen ganz gut ausgekommen, weil ich mich nicht darauf eingelassen habe. Also ich habe auch keine "Kapital"-Lektüre gemacht. Ich habe das "Kapital" gelesen – aber vorher. Und da kam etwas mir zu Hilfe: Also in der in der Situation als Redakteur – ich war ja eigentlich Redakteur dieser kleinen Buchreihe "Projekte und Modelle" in der Edition Voltaire. Das war der Studentenverlag wegen den Voltaire-Flugschriften und so. Und ich wollte zusammen mit Christian Cruxin also einfach ein Programm machen, was weniger politisches Pamphlet oder Manifest ist, sondern einfach sich mit der Zukunftsgestaltung beschäftigt – und das nach den verschiedenen Seiten mal ableuchten und von vornherein natürlich also interdisziplinär das anzulegen. Da war zum Beispiel natürlich – als Auftakt war eigentlich geplant Scheerbart "Glasarchitektur" und Scheerbart "Perpetuum Mobile". Wir konnten aber damals die Rechte noch nicht klären. Deswegen beginnt das hier mit Buckminster Fuller, aber dann kommt Fernand Léger – ein wunderbarer Text über die Alltagsästhetik, unter dem Gesichtspunkt der neuen medialen Entwicklung, nämlich des Films. Er hatte also gerade seinen ersten Film, "Ballet méchanique" hatte er gemacht und hält diese Vorlesung an der Sorbonne und verarbeitet seine Erfahrungen aus dem Verhältnis von Malerei und Filmemachen – hochinteressanter Text! Also in dieser Rolle als Redakteur möchte man die verschiedenen Stimmen, die verschiedenen Positionen sammeln und schlägt sich nicht auf die eine oder die andere Seite, sondern man präsentiert das auf eine anständige Weise und versucht, das Verstehen zu ermöglichen. Und das war meine Haltung gegenüber Buckminster Fuller auch.

Auf ihren ersten Text in der ARCH+, "Stadtplaner und Reformgeister" – wir sprachen darüber…

Ja, also ich schäme mich ein bisschen dafür, weil es ist eigentlich ein Rückfall, oder sagen wir mal so: Also immerhin, dass ich es also geschafft habe, der eine war Maoist, der andere war Dekapist oder so, dass wir zusammen einen Text schreiben konnten – immerhin, das war wenigstens ein Erfolg. Und dann ergab sich daraufhin eben eine interessante Diskussion mit Joachim Schlandt über die Frage, wie schreibt man eigentlich über Architektur und so. Und ich bewunderte Schlandt sehr, weil er der Erste gewesen ist, der so ein historisches Beispiel wie die Wiener Superblocks, das hatte er bei Ungers in dieser Schriftenreihe, die Ungers herausgegeben hat, veröffentlicht. Das war die erste Fallstudie überhaupt. Das nächste war dann über die Krupp-Siedlung und so. Und er hatte – mit einem Schweizer Freund zusammen hatte er schon mal so angedacht, ob man nicht zu diesen Beispielen aus der Architektur, ob man da nicht lieber einen Film macht. Das ist aber über so Probeaufnahmen eigentlich nie hinausgekommen. Und dann haben wir uns da zusammengesetzt und ausgehend von der Analyse der Krupp-Siedlung haben wir diesen Arbeiterwohnungsbau gedreht 1973. Und da kommt dann etwas für mich sehr Wesentliches: der Medienwechsel. Der Medienwechsel ist eine enorme Chance des Verstehens. Ich meine, wenn man schreibt, dann denkt man, naja, also es gibt eigentlich gar keine andere Möglichkeit, sich mit einem Thema zu beschäftigen oder sich einer Realität anzunähern. Und dann bei genauerem Hinsehen stellte sich dann heraus, viele Leute schreiben über Architektur, über Gebäude, über Orte, Städte, wo sie nie waren. Und dann dachten wir, das geht nicht. Das geht nicht. Und der Film zwingt dazu, also dieses Prinzip der Autopsie wieder in Kraft zu setzen. Und dann ist natürlich eine andere Art der Auseinandersetzung mit der Architektur auch fällig, weil es geht nicht nur sozusagen um den Schauwert dieses Objektes – dieses Wort Schauwert spielt für Léger übrigens eine große Rolle – es geht nicht nur um diesen Schauwert, sondern es geht eigentlich auch darum, um diese verlebendigte Architektur, die eben in der Nutzung und in dem Alltag der Leute entsteht. Also das heißt, da ist ein anderes Verhältnis zu der Architektur und das hat mich dann wirklich sehr, sehr bestärkt, das weiterzumachen. Der Redakteur Knut Fischer beim WDR, der meldete sich dann nach einiger Zeit und sagte, ob ich das nicht weitermachen will. Und dann kriegte ich einen Anruf von von Jonas Geist, bei ihm hätte sich ein Redakteur gemeldet aus Köln und er solle einen Film über die Passagen machen. Das war das große Passagen-Buch von Jonas Geist als Grundlage sozusagen für einen Film und dann hat Jonas gesagt, ich habe aber überhaupt keine Lust dazu. Wollen wir nicht was zusammen machen? Und dann haben wir das Programm entwickelt für "Küche, Stube usw. – Geschichte der Arbeiterwohnung". Und wir hatten eben ein Forschungsprojekt, Geschichte der Wohnung, sozusagen. Aber eben nicht ausgehend vom Bürgertum, nicht ausgehend also von der Stadt und von städtischen Verhältnissen, sondern den Ursprüngen auf der Spur, wo eigentlich diese Kleinwohnung entsteht und welche Gestalt sie hat, welcher Haustyp dazugehört und wo das ist. Also waren wir mitten in einer Archäologie, würde ich sagen. Und es war eben Architektur auch mit Menschen – also selbst diese uralte Architektur. Da sind uralte Beispiele, die da gezeigt werden, also aus den 1920er Jahren oder so, die noch fast unverändert in Betrieb waren und bewohnt waren. Also man konnte das wirklich zu dem Zeitpunkt noch live studieren.

Zwischen Ihrem ersten ARCH+-Text aus dem Jahre 1970 und Ihrem zweiten ARCH+-Text, der erst in das Jahr 1991 fällt, passen sozusagen 21 Jahre relativen Schweigens in der ARCH+. Aber wir haben ja jetzt gerade gehört, dass Sie Ihre Vermittlungsaufgabe sehr stark auf den Film orientiert haben. Haben Sie eigentlich jemals der ARCH+ angetragen, stärker in den Film zu gehen?

Ne, ich denke ARCH+ war da nicht so weit. Also da war zu der Zeit glaube ich also kein Verständnis. Wie gesagt, ARCH+ hat das ja gar nicht wahrgenommen, obwohl sie im Sendegebiet – also diese Filme sind oft gezeigt worden da im dritten Programm, im WDR und so. Die haben diese Filme nicht angeguckt. Also es gibt so Punkte bei ARCH+, da ist eine sehr eigenartige Abwehr, oder ich weiß nicht, ein Desinteresse. Ich vermute, das hängt zusammen mit politischen Einschätzungen. Also man war da nicht auf der richtigen Linie oder so. Ich vermute, das hat damit zu tun. Die haben ja auch die Arbeit von Jonas Geist nicht wirklich rezipiert.

Gehen wir nochmal ganz kurz in das Jahr 1973 zurück. In das Jahr 1973 fällt ja einerseits die Publikation dieses Heftchen, wenn ich es recht entsinne, also Ihre Beschäftigung mit Bucky Fuller. Das hier meine ich, richtig. Gleichzeitig machen Sie im Jahre 1973 Ihren ersten Film mit Joachim Schlandt zum Arbeiterwohnungsbau. Wie passen Buckminster Fuller und Arbeiterwohnungsbau zusammen?

Ach, das passt sehr gut zusammen. Als ich im Archiv, im Buckminster-Fuller-Archiv gearbeitet habe, habe ich ja die ganzen Unterlagen geprüft zur Entstehung des Dymaxion House – und das Dymaxion House ist als Arbeitwohnung konzipiert. Es ist Arbeiterwohnungsbau – eindeutig. Also es ging ihm ja eigentlich auch immer also sozusagen um eine preiswerte Massenunterkunft. Also das hat er nicht geschafft, aber das war sein lebenslanger Traum eigentlich, also das alles zu entschlacken und auf das Wesentliche zu reduzieren, den haustechnischen Kern zu haben und die Hülle, so – darauf das zu reduzieren. Aber zu einer Massenproduktion ist es ja nie gekommen. Das passte eigentlich sehr gut, aber es war auch so – ich dachte nach diesem Buch, was mich wirklich sehr viel Arbeit gekostet hat, dachte ich, es ist erledigt. Es ist jetzt wirklich erledigt. Und das Interessante ist ja, dass ich in diesem Buch - ich glaube, ich war einer der ersten in Deutschland, der über die Aussteiger geschrieben hat und den "Whole Earth Catalogue". Also hier hinten dran ist nochmal sozusagen über die Szene, in der Fuller gewirkt hat einiges. Also ein bisschen ironisch ist das und auch nicht ganz wirklich – ich würde das heute anders bewerten oder so. Aber ich habe das ernst genommen, ich habe diesen "Whole Earth Catalogue" ernst genommen. Und das war ja so ein eigenartiges Medium, was mit nichts anderem wirklich vergleichbar war und tatsächlich eben eine sehr amerikanische Geschichte, die sozusagen das Präludium ist also für einiges – nicht nur Silicon Valley, sondern auch die Umweltbewegung in den USA. Das ist ja interessant: Heute sind zwei Bücher notwendig, also um dieses Erbe irgendwie zu sichten und zu klären. Das eine ist die technische Entwicklung, die Computerrevolution und die digitale Revolution und das andere ist eben die Ökorevolution. Bei Fuller ist das noch eine Einheit und so ist es im "Whole Earth Catalogue" auch. Also nur wie gesagt, wen hatte man da in Deutschland als Gesprächspartner. Da war niemand zu der Zeit, sondern da waren so komische Ökos, so Sandalenökos irgendwie, die sich aber überhaupt nicht für irgendeine technische Frage interessierten, sondern green, green, green und so. Und die anderen wurden dann also die Computerfreaks. So, und dann ging das auseinander. Und ich meine, das ist eine wirklich entscheidende Frage für heute, meine ich, wie man das aufeinander bezieht.

Wenn Sie sich 1973 oder Mitte der Siebziger Jahre einerseits mit dem Arbeiterwohnungsbau, andererseits mit dem Dymaxion House beschäftigen – wir haben jethzt gerade die Korrespondenzen hier vernommen –, dann geht es doch sicherlich auch darum, in einer Zeit, in der sich langsam aber sicher eine massive Kritik an Satelitenstädten, an dem sozialen Wohnungsbau in Gestalt der Neuen Heimat formiert, hier vielleicht auch nochmal das Terrain zu sondieren, vielleicht auch an die Potenziale zu erinnern. Sehe ich das richtig?

Ja, also ich hatte auch das Bedürfnis, also nachdem das abgeschlossen war, einfach das historische Wissen auch zu bekommen, was den Wohnungsbau betrifft und was die Wohnung selber betrifft, die Struktur der Wohnung, wie sich also eigentlich die Grundrisse entwickeln, wie sich dieses Küche-Stube-Schema, wie sich das mitbestimmten Haustypen verbindet. Und da ist das frühe 19. Jahrhundert bis Mitte, 1860er Jahre, ist hochinteressant, weil die ganze Typologie durchgespielt wird. Das ist in den Filmen "Küche, Stube usw." ist das in dem Film über Mulhouse sehr genau dargestellt, weil da ein Architekt beauftragt wird mit der Synopsis sozusagen der Wohnungstüren, der Haustypen und so weiter, um die "cité ouvrière" zu planen. Also das ist dann das Ergebnis, das ist dieser "Mülhausener Vierer", der daraus entsteht, synthetisiert wird. Aber das basiert erst einmal auf einer typologischen Forschung. Die wird notwendig durch die 1848er Revolution. Also das ganze Thema also des sozialen Wohnungsbaus beginnt 1848 mit der Revolution – aber natürlich gibt es vorher schon ein ziemliches Experimentieren mit den verschiedensten Typen. Und also das fand ich besonders wertvoll, dieses Wissen zu haben eben auch jenseits der Standardbeispiele, die man so bei Benevolo oder so findet – obwohl wir auch dahin gegangen sind. Wir haben also zum Beispiel das Familistère, das haben wir schön aufgenommen. Und die Ofenfabrik bestand noch, die Einheit war noch da. Schon kurze Zeit später existierte das nicht mehr. Also da waren wir eigentlich in so einer Situation von Leuten, die gerade noch zum rechten Zeitpunkt kommen, um bestimmte Zustände aufzeichnen zu können, dokumentieren zu können.


III. "Gebaute Weltbilder" und der Berliner Architekturstreit

#Berliner Architekturstreit

Jedenfalls dauert Ihre Beschäftigung mit dem Film gut zehn Jahre, zwölf Jahre an. Und ich möchte jetzt – also wir sind jetzt Mitte der 80er Jahre mit dieser Kinopremiere – ich möchte jetzt springen in die Zeit unmittelbar nach der Wiedervereinigung, nach dem Fall der Berliner Mauer, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Dort kommen Sie wieder in das Blickfeld der ARCH+ und sie werden wieder ARCH+-Autor. Ihr zweiter Artikel für die ARCH+ erscheint im Jahr 1991 zum Thema "Projektion und nicht-simultaner Raum". Und in das Jahr 1992 fällt dann Ihr Beitrag zu Bucky Fuller in der ARCH+ und in das Jahr 1993 kommt Ihr großer Auftritt in der ARCH+: Eine ganze Ausgabe wird Ihren Texten gewidmet – im März 1993 erscheint dann "Gebaute Weltbilder". Wenn wir uns die Stichworte und die Themen hier anschauen, Einsteinturm von Erich Mendelssohn, Zeiss-Planetarium von Walter Bauersfeld, Dymaxion-Weltkarte von Bucky Fuller und so weiter – es beginnt alles mit Boulée, alles wird unter dem Titel "Gebaute Weltbilder" verhandelt. Sehe ich das richtig, dass hier im Grunde eine Alternative aufgezeigt werden sollte auch zu diesem doch sehr engen Weltbildern eines "Steinernen Berlin"s, eine "Berlinischen Architektur", eines "Preußischen Stils"?

Ja, das ist völlig klar. Also das war ja ein Gegenentwurf. Und vor allen Dingen – also diese Studien waren zum Teil vorher ja schon erschienen. Also ich hatte für Elefanten Press geschrieben "Vom Einsteinturm zum Zeiss-Planetarium". Da wurde das Zeiss-Planetarium weggelassen, weil es zu viel war, und nur der Einsteinturm wurde da verwendet. Aber geschrieben war es schon 1988 – und bevor ich in die Archive gehen konnte. Das konnte ich ja erst nach der Vereinigung. Da bin ich dann, 1990 bin ich dann nach Jena gefahren und habe dann im Zeiss-Archiv geforscht und nach Oberkochen. Also Zeiss West und Ost, beides, um diese Bauersfeld-Manuskripte mir anzugucken – aber ich brachte meinen Text nicht zu ändern. Und dann kam Nikolaus und sagte, her mit deinen Texten – und das war überhaupt noch nicht fertig. Also da ist eine andere Studie noch über das Glashaus von Bruno Taut. Das ist aber – da war ich mitten im Schreiben. Also das war einfach so, he mit deinen Sachen. Aber es war eigentlich noch nicht abgerundet, wirklich, zu einem richtigen Werk. Aber ich war trotzdem froh, weil es war wenigstens mal der Zusammenhang zwischen einer Raumrevolution auf der einen Seite, der technischen Konstruktion und der Architekturauffassung herstellbar. Und was mich eben besonders interessiert hatte, war die Entstehung also sozusagen der Netzwerkkonstruktion – weil das Netzwerk wird ja dann ein unglaubliches Paradigma und die Eigenschaften dieser Netzstrukturen, die sind – die sind bedeutsam über die Architektur hinaus. Also das ist in Ansätzen da zu finden. Und dann kam noch etwas: Also mit solchen eigenartigen Objekten wie eben den Zeiss-Planetarium wird ein bestimmtes Verhältnis von Bild und Raum und zwar ein neues Verhältnis von Bild und Raum – und das geht eben mit Boulée wirklich los – diskutiert, wo die Architektur eigentlich so eine Bildermaschine ist. Und das ist sie ja von Anfang an eigentlich. Und diese Geräteentwicklung, also die technischen Medien kommen alle aus dem Haus. Das ist dann in vielen Seitenaspekten von anderen bearbeitet worden, also zum Beispiel von Bernhard Siegert in Weimar, der dann über Türen und Fenster als Schalter und so weiter – ich glaube, ich habe den ersten Vortrag da gehalten über Fenster in diesem Kreis da. Das war dieses in Gründung befindliche Zentrum für Literaturforschung, wo sich diese ganzen Kulturwissenschaftler gesammelt haben und so. Da habe ich zwei Vorträge gehalten über genau diese Fragen. Das habe ich aber nie publiziert.

In diesem Heft wird auch von Ihnen eine Opposition, wenn man so will, aufgemacht zwischen einer klassischen und einer trans-klassischen Architektur. Ich nehme an, die trans-klassische Architektur ist auch wieder einer dieser Begriffe, die man im Verständen des heraufziehenden Berliner Architekturstreites verstehen muss. Sehen Sie das auch so?

Ja, ist es wirklich jenseits dessen. Ich muss sagen, ich habe mich auch eigentlich aus diesen Berliner Verhältnissen – obwohl ich so lange schon in Berlin lebe – immer herausgehalten, weil das erschien mir völlig unfruchtbar. Und die Bereitschaft da also solche Beiträge wie – ich meine, Mendelssohn ist einfach ein Berliner Architekt, der ja hochinteressante Beiträge für eine großstädtische Architektur geschaffen hat, aber das Sensorium dafür in Berlin… Also selbst das transzendiert ja schon schon dieses Verständnis von einem preußisch tradierten Traditionalismus.

Wenn wir über jemanden wie Hans Stimmann sprechen, dann sprechen wir ja jetzt, verglichen gerade auch mit Ihrer Biografie über zwei mögliche, wenn man so will, paradigmatische Wege der 68er-Generation. Hans Stimmann ebenfalls 68er steht für die Entdeckung oder Wiederentdeckung der "Alten Stadt", der "Europäischen Stadt". Sie hingegen – ein solcher Topos taucht bei Ihnen höchst selten auf. Bei ihnen geht es ja doch sehr stark auch um den Blick auf die Technik, den Blick auf die Naturwissenschaften. Warum ist Ihr Weg so selten in Deutschland gewesen?

Ja, das hängt schon wirklich mit dem politischen Umfeld zusammen, muss ich sagen. Und dann ist auch noch wichtig festzuhalten, dass wir natürlich alle in einem bestimmten Punkt, ob wir wollten oder nicht, konservativ waren. Und zwar einfach deswegen, weil das deutsche Bürgertum nicht in der Lage war, die kulturellen Werte des Bürgertums zu erkennen. Also ich erinnere mich noch daran, dass es tatsächlich eben mal zur Debatte stand, den Gropius-Bau abzureißen – das muss man sich mal vorstellen! Und die Widerstände gegen so etwas – oder Bethanien oder so – die kamen natürlich aus der 68er-Bewegung, oder auch der Kampf um Kreuzberg. Also auch die falsche Polemik gegen das Mietshaus – das ist etwas, was Jonas Geist wirklich sehr beschäftigt hat. Das machte uns doch wirklich zu Konservativen. Also dass Kreuzberg nicht völlig abgerissen ist und – ja, ein bisschen verstümmelt, aber aber nicht tödlich – das ist diesen Kräften zu verdanken, also den 68ern und dann aber wirklich nochmal der Hausbesetzerszene.

Diese scheinbar paradoxe Mischung aus konservativem Erhalt der Stadt und politischer Revolution wird ja vor allem bei Alexander Mitscherlich und seinem Buch "Unwirtlichkeit der Städte" deutlich. War das ein Buch, das für Sie überhaupt von Bedeutung war?

Also ich glaube nicht so sehr. Klar, aber ich glaube, Hämer war für uns wirklich wichtig, weil dessen Versuche, nachzuweisen, dass es möglich ist, Altbausanierung zu machen zu Kosten, die verträglich sind, das war wirklich extrem wichtig. Und er ist ja schwer behindert worden. Also Hämer ist der Erste gewesen – und das hat uns sofort irgendwie überzeugt.

Ich hätte zum Abschluss noch eine Frage zum Thema ARCH+-Redaktion: Einer Ihrer jüngeren Texte ist dieser für mich sehr bewegende Nachruf auf Sabine Kraft, der langjährigen ARCH+-Mitherausgeberin, die vor allem die Redaktion in Aachen leitete, aber auch den ARCH+ Verlag lange Zeit leitete. Wie haben Sie die Dynamiken zwischen der Berliner ARCH+-Redaktion und Aachener ARCH+-Redaktion wahrgenommen? Hatten diese Dynamiken eventuell auch für Sie inhaltliche Konsequenzen?

Nein, aber es war einfach ein Trauerspiel zu sehen, dass es ein grassierender Zerwürfnis war. Ich konnte da auch nichts dran ändern. Da konnte niemand was dran ändern. Und ich dachte, dass die Stärke von ARCH+ eben in dieser Kombination dieser sehr unterschiedlichen Orientierung besteht. Weil Sabine Kraft hat dafür gesorgt, dass ARCH+ die Themen nicht aus dem Auge verliert, die für die Stammleserschaft von ARCH+ – und das waren über Jahrzehnte die Assistenten an den Lehrstühlen – vergessen wird. Und da hatte sie im Unterschied zu Nikolaus Kuhnert – der hat sich dafür überhaupt nicht interessiert. Nikolaus hat sich interessiert für interessante Positionen in der Architektur, also Rem Koolhaas, aber immer auch prominente Figuren. Und Sabine Kraft hat also das Holz-Heft gemacht oder so. Also das heißt, ARCH+-Hefte immer zu sehen auch als Vorbereitung für etwas, was unmittelbar gebraucht wird in der Lehre und herangezogen wird als Erstinformation, wenn man so ein Thema an einem Lehrstuhl behandelt.

Hätten Sie Empfehlungen für künftige ARCH+-Themen oder auch -Hefte?

Ne, aber den strategischen Hinweis, sich wirklich also immer wieder darum zu kümmern, was an den Hochschulen gebraucht wird. Zum Beispiel hat ARCH+ den großen Fehler gemacht, nicht in den in den neuen Bundesländern präsent zu sein. Es blieb eine westdeutsche Architekturzeitschrift. Und das war – also das fand ich eine Schwäche. Also wenn Sie gucken Weimar, Cottbus, Dessau oder so – ARCH+ spielt da eigentlich keine Rolle. Das ist verkehrt, das ist absolut verkehrt. Also dafür zu sorgen, dass die Bedürfnisse also aus der Lehre, dass die wahrgenommen werden. Das ist entscheidend, glaube ich. Denn die Studenten sind nicht die erste Gruppe, an die ARCH+ sich richtet – es sind immer die Assistenten und Mitarbeiter gewesen. Auch nicht die Professoren, also die lesen ja nicht – aber die Assis. Und so ist ARCH+ ja auch immer eigentlich verwendet worden. Es sind so ganz bestimmte Themen, die bearbeitet sein wollen.

Vielen Dank, Herr Krause!